Radikalisierung
Lässt sich erklären, warum Menschen sich dem extremistischen Salafismus zuwenden? Wie beginnt eine Radikalisierung und woran kann man sie erkennen?
Mögliche Gründe für Radikalisierung
Einen typischen Radikalisierungsverlauf gibt es nicht. Stattdessen wenden sich Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen und auf ganz unterschiedliche Arten dem extremistischen Salafismus zu.
Dabei fällt auf, dass Anhängerinnen und Anhänger salafistischer Ideologien oftmals Brüche in ihrer Biografie aufweisen. Das können zum Beispiel problematische Familienverhältnisse sein, Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen, oder schulische und berufliche Misserfolge. Die vereinfachten Botschaften im Salafismus, wie Freund-Feind-Schemata, bieten in diesen Situationen Orientierung und versprechen Gemeinschaftszugehörigkeit.
Die salafistische Szene rekrutiert ausgiebig im Internet
Bei der Verbreitung salafistischer Propaganda spielt das Internet eine entscheidende Rolle. So werden zum Beispiel Internetforen, Videoplattformen, soziale Netzwerke und andere Online-Verbreitungswege von der salafistischen Szene ausgiebig und professionell genutzt. Die Propaganda der Salafistinnen und Salafisten greift dabei verstärkt jugendaffine und lebensweltnahe Inhalte auf. Sie nutzt außerdem Geschichten, Bilder und Videos zur Verbreitung ihrer Botschaften in dieser Zielgruppe. Im Fokus stehen dabei insbesondere soziale Medien wie Facebook und YouTube. Vor allem junge Menschen fühlen sich daher von salafistischer Propaganda angesprochen.
Mehr zum Thema Radikalisierung im Netz lesen Sie auch in unserem Themenschwerpunkt "Online-Prävention".
Mögliche Anzeichen für Radikalisierung erkennen
Wie ist für Außenstehende eine mögliche Radikalisierung erkennbar? Personen, die sich dem Salafismus zuwenden, passen sehr wahrscheinlich ihr äußeres Erscheinungsbild ihrer neuen Ideologie an. Entscheidender ist jedoch, dass Bekannte, Freundinnen und Freunde sowie Familien von Betroffenen häufig eine Wesensveränderung bei diesen feststellen können.
Folgende Anzeichen können auf eine Hinwendung zur salafistischen Szene deuten:
• die Überbetonung religiöser Normen und Riten und ihrer Einhaltung • Missionierungsversuche bei Eltern, Verwandten und im Freundeskreis • Abwendung vom bisherigen Freundeskreis und der Familie • religiös-politische Äußerungen – ohne die Bereitschaft, sich auf andere Argumente einzulassen • Abschottungstendenzen gegenüber vermeintlich „Ungläubigen“ und einer „unislamischen“ Umwelt
Für das familiäre, schulische und sonstige soziale Umfeld ist es oft schwierig, im Einzelfall zwischen einer Hinwendung zur Religion und einem Abgleiten in den religiösen Extremismus zu unterscheiden. Das Präventionsprogramm "Wegweiser" des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen bietet konkrete Unterstützung und Beratung für Betroffene sowie für das Umfeld sich radikalisierender Personen.
Radikalisierung von Frauen und Mädchen
Salafistische Propaganda, insbesondere in den sozialen Medien, richtet sich zunehmend an junge Frauen und Mädchen. Ihnen wird als Ehefrauen und vor allem als Müttern von potenziellen Dschihadisten eine wichtige Rolle im Dschihad zugesprochen. Salafistisch-extremistische Frauen werden auch immer häufiger selber in sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten aktiv und nehmen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von salafistischer Propaganda ein.
Letzteres gilt auch offline: Salafistinnen vernetzen sich zunehmend und rekrutieren eine weibliche Anhängerschaft – z.B. im Rahmen organisierter Treffen in Privaträumen oder bei der Vermittlung religiöser Lerninhalte. Als Mütter geben sie außerdem ihre Ideologie an Kinder weiter. So können sie wesentlich zur Radikalisierung einer nachfolgenden Generation beitragen.
Fast ein Drittel der IS-Ausgereisten aus NRW sind Frauen
Tatsächlich stellt die größer werdende Zahl radikalisierter Frauen eine zunehmende Herausforderung dar. So sind dem Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen aktuell rund 600 Frauen bekannt, die dem extremistischen Salafismus anhängen (Stand Juni 2020). Auffällig ist dabei ein hoher Anteil junger Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren. Auch unter den 263 Personen aus NRW, die in die dschihadistischen Kampfgebiete Syriens und des Iraks ausgereist sind, befanden sich fast ein Drittel Frauen. Sowohl die zurückgekehrten als auch die in Deutschland verbliebenen Salafistinnen sind zunehmend gewaltbejahend und gewaltbereit.
Die ersten Rückkehrerinnen mit ihren zum Teil auf ehemaligem IS-Gebiet oder in Flüchtlings- oder Gefangenenlagern geborenen Kindern sind bereits wieder in Deutschland. Diese Frauen und Kinder müssen einerseits aufgefangen und andererseits genauestens beobachtet werden. Bei der Prävention wird die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive daher immer wichtiger: Viele Angebote wurden oder werden daher um frauenspezifische Aspekte erweitert oder neu geschaffen.
Kinder und Jugendliche aus salafistischen Familien
Kinder und Jugendliche aus salafistischen Familien sind besonders gefährdet, sich zu radikalisieren. Es gibt immer mehr dieser salafistischen Familien, die aus Verheiratungen innerhalb der salafistischen Szene hervorgehen. Dazu kommt die Gefahr, dass in aus Dschihad-Gebieten zurückgekehrten Familien die salafistische Ideologie an eine neue Generation weitergegeben wird.
Kinder in salafistischen Familien werden bereits im frühen Kindesalter indoktriniert. Es gibt bereits erste salafistische Erziehungsratgeber. Sie raten Eltern zum Beispiel, salafistische Welt- und Rollenbilder durch kindgerechte Geschichten zu vermitteln. Kinder sollen so lernen, demokratische Werte und den westlichen Lebensstil abzulehnen. Auch unterschiedliches Spielzeug – beispielsweise Puppen, die Kämpfer oder vollverschleierte Frauen darstellen - und entsprechende Online-Spiele, wie z.B. die App Huruf (zu Deutsch: „Buchstaben“), können salafistische Weltbilder verstärken.
Sowohl die Präventions- und Deradikalisierungsprogramme des Landes als auch zivilgesellschaftliche Akteure nehmen diese Situation besonders in den Blick.
Eine Kindeswohlgefährdung ist im Einzelfall zu prüfen
Wenn Kinder in einem salafistischen Umfeld aufwachsen, ist das Kindeswohl nicht per se gefährdet. Das Risiko ist aber höher. Das Kindeswohl kann beispielsweise gefährdet sein, wenn Eltern ihre Kinder gesellschaftlich isolieren oder persönliche Beziehungen ihrer Kinder zu „Andersgläubigen“ unterdrücken. Ein weiteres Risiko für das Kindeswohl sind angsterzeugende Erziehungsstile. Diese konfrontieren Kinder gegebenenfalls mit Darstellungen von Gewalt. Es gilt daher, Konflikte zwischen einer salafistischen Erziehung und dem Jugendschutz im Einzelfall zu prüfen.
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