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Interview: Radikalisierung im Internet

Grafik eines Mikrofons

Interview: Radikalisierung im Internet

Islamistische Radikalisierung im Internet – Wo findet sie statt? Was macht die Plattformen für extremistische Gruppierungen so attraktiv? Antworten hierauf finden Sie in unserem Interview mit ExPO – Extremismusprävention Online.

Das Interview wurde im Februar 2022 mit Frederieke Huwald und Piotr Suder vom Projekt ExPO – Extremismusprävention Online geführt.


Wo findet islamistische Radikalisierung im Internet vor allem statt?

Huwald: Islamistische Gruppen sind auf allen Plattformen präsent, vor allem auf YouTube, auf Instagram, auf TikTok und auch weiterhin auf Facebook – wenn auch inzwischen weniger als früher. „Machts Klick“ und „Botschaft des Islam“ habe ich sogar auf Spotify gefunden. Sie haben also mittlerweile sogar eigene Podcasts. Sie gehen mit dem Zeitgeist.

Interessant ist, dass die islamistischen Akteure mehrere Plattformen gleichzeitig bespielen und diese miteinander verknüpfen. Sie posten zum Beispiel einen kurzen Ausschnitt von einem YouTube-Video auf TikTok oder machen auf Instagram darauf aufmerksam. So erreichen sie unterschiedliche Leute. Außerdem werden Telegram-Gruppen genutzt. Diese bieten einen geschlossenen Rahmen, um sich zu vernetzen und vielleicht auch extremere Inhalte zu verbreiten.

Suder: In den letzten Jahren sind viele extremistische Inhalte aus den gängigen sozialen Medien und Streaming-Plattformen verschwunden. Viele wurden tatsächlich gelöscht. Aber das heißt noch längst nicht, dass die Akteure verschwinden, und es heißt noch längst nicht, dass die Inhalte wirklich verschwinden. Denn es gibt eine Migration von einer Plattform zur nächsten und auch innerhalb von Telegram von Kanal zu Kanal. Nach wie vor spielt der „IS“ [Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist die Terrormiliz „Islamischer Staat“] auf verschiedenen Kanälen eine Rolle und Al-Qaida ist auch aktiv. Auf Telegram gibt es weiterhin illegale Inhalte, wie eindeutige Aufrufe zur Gewalt.


Haben Sie Beispiele für aktuell relevante extremistische Akteure im Bereich Islamismus?

Huwald: „Young Muslim“ sind ganz aktiv. Die haben 38.000 Follower auf YouTube und auf Instagram 14.000 (Stand: März 2022). „Machts Klick?“ ist auf YouTube einer der größten Player mit über 150.000 Follower und hat auf Instagram auch fast 60.000 Follower (Stand: März 2022).

Was uns aufgefallen ist, dass junge Menschen auf ihren Social-Media-Kanälen, beispielsweise auf TikTok, Live-Videos senden. In den Videos beantworten sie Fragen zu ihrem Glauben oder zu ihrer Religionsausübung und erzählen, welche Prediger sie sich anschauen. Sie geben auch Empfehlungen an Leute im gleichen Alter, wie: „Schaut euch mal Abul Baraa an oder Pierre Vogel. 'Machts Klick?' macht auch gute Videos.“ Das heißt, dass Jugendliche, die keiner Gruppierung angehören, ihren Peers extremistische Kanäle empfehlen.

Suder: Außerdem gibt es nach wie vor statische Internetseiten. Dort findet man häufig Inhalte, die aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt wurden. So wird eine ultrakonservative Auslegung des Islam aus tendenziell traditionell geprägten Gesellschaften über das Internet nach Deutschland transferiert. Beispiele sind zum Beispiel „Islam Q&A“, „islamweb.net“ und „islam-fatwa.de“.


Wieso sind diese Plattformen so gut dafür geeignet, extremistische Inhalte zu verbreiten und junge Menschen anzusprechen?

Suder: Sie können relativ einfach genutzt werden, sind umsonst und mit ihnen können viele Menschen erreicht werden. Man ist also nicht auf Medien angewiesen, wie das früher der Fall war, und auch nicht auf Massenveranstaltungen. Mit jedem Like oder Teilen erhält ein Video zusätzliche neue Viewer, was dazu führt, dass sich die Inhalte schnell verbreiten können.

Dann gibt es den viel kritisierten Empfehlungsalgorithmus, der einem ähnliche Videos vorschlägt. Das führt dazu, dass man sich zunehmend in eine Blase begibt und mit denselben Positionen immer wieder konfrontiert wird. Mittlerweile hat sich da allerdings etwas getan. Ich habe festgestellt, dass auf YouTube immer wieder auch andere, gegensätzliche Videos eingestreut werden. Aber nichtsdestotrotz gibt es diesen Empfehlungsalgorithmus.

Grundsätzlich entspricht die Kommunikation über soziale Medien dem Nutzerverhalten von jungen Menschen. Das ist deren Realität. Das prägt ihren Lebensalltag. Dieser Effekt wird verstärkt dadurch, dass ganz bewusst jugendaffine Motive verwendet werden. Zum Beispiel ist das die Verwendung von Memes oder von Hiphop. Das Ziel der Akteure ist eben nicht, ausschließlich ultrakonservativ religiösen Menschen anzusprechen, sondern junge Menschen, die am öffentlichen Leben übers Internet teilnehmen.

Über Social Media können Jugendliche relativ einfach Kontakt zu Akteuren aufnehmen. Es handelt sich also nicht um irgendwelche fernen religiösen Autoritäten, sondern man hat das Gefühl, zusammenzugehören und vielleicht sogar ein freundschaftliches Verhältnis aufbauen zu können. Auch durch die Kommentarfunktionen wird alles interaktiver. So entsteht das Gefühl einer Community. Für manche kann es außerdem ein Faktor sein, dass man aufgrund der Anonymität auch sehr fragwürdige Inhalte kommunizieren kann.

Huwald: Jugendliche sind oftmals auf der Suche nach Antworten. Und diese Formate bieten ihnen einfache Antworten. Es gibt Videos zu Thema Liebe, es gibt Videos zu den Thema Religion, Freundschaft und so weiter. Und die sind so gestaltet, dass man die Themen direkt „abhaken“ kann. „Ah okay, das ist der richtige Weg.“ Man bekommt sehr schnell vermeintlich einfach Antworten auf komplexe und schwierige Lebensfragen.


Gibt es aus Ihrer Sicht noch etwas, das wichtig ist?

Suder: Es gibt noch einen wichtigen Aspekt. Die Probleme, die von extremen Akteuren benannt werden, die existieren ja häufig tatsächlich. Das ist nicht komplett aus der Luft gegriffen. Und das macht es so schwierig, kritisch mit den Aussagen umzugehen. Eine Perspektive, die sie immer wieder vertreten, ist: „Die deutsche Gesellschaft ist muslimfeindlich und versucht uns zu assimilieren.“ Und sie instrumentalisieren auch antimuslimischen Rassismus, den es gibt, um sich von der Gesellschaft abzugrenzen. Das Problem ist, ihre Pauschalisierungen sind falsch und ihre Schlussfolgerungen sind auch falsch.

Man kann davon ausgehen, dass diese Aussagen Menschen beeinflussen und dazu führen, dass sie sich mit der Gesellschaft nicht identifizieren. Dass sie nicht konstruktiv Kritik üben, sondern sich zurückziehen und vielleicht sogar Gewaltfantasien entwickeln.