Jihadismus
Das jihadistische Spektrum erlebte nach dem 7. Oktober 2023 eine Renaissance: Drohungen gegen Israel, Europa und den Westen, mit teils konkreten Anschlagsplänen, die seit dem Ende des IS-Kalifats in Syrien und Irak rar geworden waren, häuften sich wieder. Lesen Sie hier mehr.
Al-Qaida und Sympathisantengruppen
Das jihadistische Spektrum erlebte nach dem 7. Oktober 2023 eine Renaissance: Drohungen gegen Israel, Europa und den Westen, mit teils konkreten Anschlagsplänen, die seit dem Ende des IS-Kalifats in Syrien und Irak rar geworden waren, häuften sich wieder. Auch die Zahl verhinderter und durchgeführter Anschläge in Deutschland und Westeuropa stieg nach dem 7. Oktober 2023 deutlich an.
Kern al-Qaida (AQ) signalisierte trotz dogmatischer Unterschiede schon sehr früh die Unterstützung für den Terrorangriff der HAMAS. Anders als beim IS war die „Befreiung“ Jerusalems und Palästinas schon lange ein zentrales Thema der AQ-Propaganda. In einer gemeinsamen Stellungnahme der beiden nordafrikanischen al-Qaida Ableger, „Jama'at Nusrat al-Islam wal Muslimin“ (JNIM) aus Mali und Al-Qaida im Maghreb (AQM) vom 13.Oktober 2023 wurde die HAMAS sogar lobend erwähnt.
In einer weiteren Verlautbarung vom 13.Oktober 2024, die über die offizielle AQ-Medienstelle „As-Sahab Media“ verbreitet wurde, bezeichnete Kern-AQ den Terrorangriff als einen „Wendepunkt im Kampf gegen Israel“. Muslime überall auf der Welt sollten sich diesem Kampf anschließen, den Jihad mit allen Mitteln durchführen und „Kreuzritter, Zionisten und Israelis im offenen Krieg ins Visier nehmen.“
In der ersten Woche des Krieges wurde auch die erste Ausgabe einer Publikationsreihe mit dem Titel „Dies ist Gaza“ veröffentlicht, die unter dem Pseudonym Salam al-Sharif erschien. Hinter diesem Pseudonym wird gemeinhin der neue al-Qaida Emir Saif al-Adl vermutet. Der ehemalige Oberstleutnant einer ägyptischen Spezialeinheit soll nach dem Tod von Ayman al-Zawahiri, der im Jahr 2022, durch einen US-Drohnenangriff auf ein Haus in Kabul ums Leben kam, zu seinem Nachfolger ernannt worden sein. Aufgrund möglicher politischer Verwicklungen soll diese Ernennung jedoch bisher nicht förmlich erfolgt sein, da al-Adl im Iran vermutet wird. In der bislang letzten Ausgabe der Veröffentlichungsreihe aus dem Sommer 2024 wurden „Mujahedin“ weltweit dazu aufgerufen, nach Afghanistan auszureisen, um sich dort militärisch ausbilden zu lassen. Anschließend sollen sie in ihre Heimatländer zurückkehren, um dort Anschläge zu verüben.
Weitere anschlagbefürwortende Stellungnahmen AQ-affiliierter Gruppen wie die somalische al-Shabab Miliz, JNIM, AQM, Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) folgten dem Vorbild der Mutterorganisation: Muslime sollten Anschläge auf Juden, Amerikaner, Franzosen „und andere“ verüben. Begründet wurde dies unter anderem auch durch die finanzielle Unterstützung der USA für Israel und die daraus folgende Beteiligung am „Kampf gegen den Islam“.
Zudem bekannte sich die Medienstelle des AQ-Sympathisantengruppe „Jaish al-Malahim al-Iliktruni“ (dt. „Armee der elektronischen Schlachten“) im Rahmen der „Operation Spinnennetz“ zur Verbreitung von Bombendrohungen gegen zahlreiche französische Flughäfen sowie jüdische Institutionen in Europa. In ihrer Zeitschrift „Wolves of Manhattan“, die auf Englisch, Französisch und Arabisch erscheint, wurden unter dem Titel „Wie unterstütze ich meine Angehörigen in Gaza“ sehr konkrete Anschlagstipps für Angriffe auf jüdische und israelische Einrichtungen veröffentlicht.
Im „Wettbewerb“ der jihadistischen Organisationen hat AQ in den letzten Jahren hinter dem IS zurückgelegen und nicht vom „jihadi cool“[1] des IS profitieren können. Außer dem Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo 2015 in Frankreich und auf dem Marinefliegerstützpunkt Pensacola in Florida 2019, konnte AQ keine „erfolgreichen“ Operationen im westlichen Ausland mehr für sich verbuchen. Anzunehmen ist daher, dass die Organisation unter stärkerem Zugzwang steht, ihre Relevanz und Schlagkraft unter Beweis zu stellen.
[1] „Jihad Cool“ ist ein Begriff, der von Sicherheitsexperten verwendet wird, um den Imagewandel des militanten Jihadismus in etwas Modebewusstes oder „Cooles“ für jüngere Menschen zu beschreiben. Dies geschieht durch soziale Medien, Zeitschriften, Rap-Videos, Kleidung, Propagandavideos und andere Mittel.
Der islamische Staat (IS) und IS-nahe Gruppierungen
Nach anfänglicher Zurückhaltung veröffentlichte der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) in seinem wöchentlichen Verlautbarungsorgan „An-Naba“ am 20.Oktober 2024 eine erste offizielle Stellungnahme.
Darin lehnte der IS „den Ansatz" der HAMAS im gegenwärtigen Konflikt ab, zunächst noch ohne die HAMAS konkret zu benennen. Der Kampf gegen Israel dürfe aus scharia-rechtlichen Gründen nicht unter der Federführung oder mit der Unterstützung des „abtrünnigen“ schiitischen Regimes in Iran durchgeführt werden. Zudem sollten Angriffe nicht auf Juden in Israel beschränkt bleiben, da „Juden die politischen Eliten im Westen kontrollierten". Die muslimische Jugend wurde aufgefordert, Selbstmordattentate durchführen, dies habe im bisherigen „göttlichen Kampf“ als „Erkennungsmerkmal“ gefehlt.
Der Kampfaufruf des IS wurde von einer Kampagne IS-naher Medienstellen begleitet, in der in verschiedenen Bildcollagen beispielsweise der Anschlag eines IS-Anhängers auf schwedische Fußballfans in Brüssel am 16. Oktober 2023 mit dem Nahost-Konflikt verknüpft und als Vorlage für weitere Anschläge gegen Israel und dessen Verbündete propagiert wurde.
Der Sprecher des IS, Abu Hudhaifa al-Ansari, rief in einer am 04.Januar 2024 im Internet veröffentlichten Audiobotschaft die Mitglieder und Unterstützer des IS dazu auf, weltweit Anschläge zur Unterstützung der Palästinenser zu begehen. Hierfür sei die neue IS-Kampagne namens „Tötet sie wo immer ihr sie findet" initiiert worden. Besonders Juden und Christen in Europa und Amerika seien legitime Ziele.
Die HAMAS wurde in selbiger Audiobotschaft für ihre Zusammenarbeit mit dem schiitischen Iran und seiner „Achse des Widerstandes“ sowie ihrer nationalen Ausrichtung deutlich kritisiert. Die HAMAS bestünde aus „Abtrünnigen“, die sich mit den Schiiten zusammengetan hätten.
Der IS stellte sich in den folgenden Wochen und Monaten als einzige Gruppierung dar, die sich in der Region glaubhaft für die Palästinenser einsetze. Der Anschlag von Krasnogorsk im März 2023 wurde als Beweis für eine „konsequente Strategie“ angeführt. Ziel müsse es letztlich sein, die Scharia in ganz Palästina zu etablieren.
In der deutschsprachigen jihadistischen Szene finden sich zahlreiche, fast durchweg antisemitische Texte und Videos, in denen Solidarität mit den Palästinensern bekundet sowie das Märtyrertum und das Töten von Juden glorifiziert wird. Ein Großteil der Propaganda beinhaltet Darstellungen der erhofften Zerstörung Israels. Auch wird pro-palästinensische Propaganda wie etwa die der Al-Qassam-Brigaden, des militärischen Arms der HAMAS, weiterverbreitet oder zu Spenden für die Palästinenser aufgerufen. Kritik und Polemik wendet sich mitunter direkt gegen die Israel-Politik Deutschlands oder den Zentralrat der Juden.
Zusammenfassend eint alle jihadistischen Gruppierungen der Wunsch nach der Vernichtung Israels und der Kampf zur Befreiung Palästinas und der al-Aqsa Moschee in Jerusalem. Darüber hinaus möchte man von der Prominenz des Themas profitieren und es für eigene Zwecke und den globalen Jihad instrumentalisieren. Beileidsbekundungen für das Leid der israelischen Zivilbevölkerung, das offensichtlich von der HAMAS einkalkuliert wurde, werden erwartungsgemäß nicht geäußert.